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The International Ez Zantur Project
Nabatäer bauten die Strasse
Von Ignaz Staub. Tages-Anzeiger, 21. Mai 1997, Seite 76
Mit dem Bagger auf den Spuren der Nabatäer: Schweizer Archäologen im antiken Petra
In Petra im Süden Jordaniens unterstützt die Schweiz ein grosses Restaurierungsprojekt: Die gepflästerte Strasse durch die Schlucht und das Wasserspeicherungssystem der Nabatäerstadt.
Morgens um sechs Uhr ist der Siq ein Ort der Stille. Die Felsschlucht, die über rund 1,5 Kilometer vom Wadi Musa zur alten Nabatäerstadt Petra hinunterführt, liegt verlassen. Zwischen den 70 Meter hohen Wänden aus rötlichem Sandstein ist es empfindlich kalt, kein Sonnenstrahl verirrt sich in die Tiefe der Schlucht. Noch sind – zu Fuss, auf Eseln oder Pferdewägelchen – keine der Touristen unterwegs, die am Ausgang des Siq mit der Besichtigung der Gräber und Tempel beginnen, welche die Nabatäer vor über 2000 Jahren aus dem weichen Stein der Berge herausgehauen haben.
Petra, „die rosenrote Stadt, halb so alt wie die Zeit“, döst. In ihrer Blütezeit lag sie im Zentrum eines Handelsimperiums, dessen Routen Arabien mit Ägypten und dem Mittelmeer auf der einen sowie mit Indien und dem Fernen Osten auf der andern Seite verbanden. Das Nabatäerreich ist schon mit einem multinationalen Unternehmen verglichen worden, das nicht auf Eroberung von Territorium aus ist, sondern Marktanteile gewinnen will.
Plötzlich zerreisst das Rattern eines Motors die Stille, und der Lärm hallt von den Felswänden wider. Im Siq, gut auf halbem Weg, beginnt ein Bagger vorsichtig, Steine, Geröll und Dreck zu bewegen. Ein kleiner, gelber Lastwagen, den der Fahrer in der engen Schlucht geschickt steuert, fährt das Aushubmaterial weg. Eine Handvoll Männer mit Schaufeln, Pickeln und Besen säubern hinter dem Bagger nach. Wenn sie jeweils mit einem Abschnitt fertig sind, wird am Boden des Siq das Ziel ihrer Bemühungen sichtbar: die antike Pflästerung, welche die Nabatäer um 30 n. Chr. angelegt haben.
Keramik, die anlässlich der Ausgrabungen in der Schlucht gefunden worden ist, sowie die Einbindung des Bauwerks in ein System der Wassernutzung stützen diese Datierung. Bisher war angenommen worden, dass erst die Römer, die Petra um 106 n. Chr. der Provinz Arabia zuschlugen, diese Strasse gebaut hätten.
Der Mann, der mit Bagger und Laster statt mit Schäufelchen und Eimer nach Spuren der Vergangenheit sucht, ist der 50jährige Berner Ueli Bellwald, Inhaber der Restaurierungsfirma Intermonument. Vor sieben Jahren hat ihn ein befreundeter Archäologe der Universität Basel überredet, nach Jordanien zu kommen, und seither lässt ihn das Land nicht mehr los. „Andere machen Bungee-jumping“, sagt Bellwald, „ich restauriere.“
Kostbares Nass gespeichert
Derzeit erarbeitet er mit dem einheimischen Ingenieurbüro MeeM im Auftrag des Petra National Trust eine Studie über die Konsolidierung des Siq-Bodens sowie die Wiederinbetriebnahme des ausgeklügelten Systems zur Wasserspeicherung, das die Nabatäer gebaut hatten. Überreste dieses Systems – Staudämme, Zisternen, Kanäle, Schwellen und Terrassenmauern – sind auf den zerklüfteten Bergen um Petra noch zu besichtigen.
Das hydraulische System diente weiter dazu, den Siq vor Überflutungen zu bewahren. Später, nach dem Zerfall Petras, waren es die Wassermassen aus dem Wadi Musa, die im Verlaufe der Jahrhunderte die antike Pflästerung im oberen Teil der Schlucht wegspülten. Wie zu Zeiten der Nabatäer schützt heute wieder ein Damm die Schlucht und die antike Stadt vor Flutwellen, indem er das Wasser in den nahen Al-Mudlim-Tunnel ableitet.
Bellwalds Arbeiter, die aus dem Dorf Wadi Musa kommen, nennen ihn „Abu Balata“: Vater der Steinplatten. Während Sondierbohrungen im untern Teil des Siq hat er zu ihrem Erstaunen zwei, drei Mal richtig vorausgesagt, wo die antike Pflästerung zu finden war. Noch häufiger aber rufen sie ihn „Abu Fas“, Vater der Streitaxt. Ab und zu spricht Bellwald „ungewohnt laut und deutlich“ mit seinen Arbeitern, falls Disziplin oder Sorgfalt zu wünschen übriglassen. Dafür bezahlt er sie überdurchschnittlich. „Du darfst hier keine Schwäche zeigen“, sagt Bellwald. Er, der für die Einheimischen „fast zum Inventar gehört“, kennt die lokale Mentalität und hat auch „erst lernen müssen, ein harter Chef zu sein“.
Jedenfalls ist die Arbeit in Petra nicht immer einfach. „Wahrscheinlich braucht es einen Verrückten wie mich, um so was durchzuziehen“, vermutet der glatzköpfige Berner, der im Siq selbst kräftig mitanpackt und inzwischen, wie er sagt, „zu den meistfotografierten Sehenswürdigkeiten Petras gehört“. Eine Amerikanerin, die kurz zuschaut, fragt denn auch prompt: „Ist er ein echter Archäologe?“ Als dies bejaht wird, zückt sie den Fotoapparat. Sie hat die Spezies bisher nur aus Hollywood-Filmen gekannt.
Aufgrund einer gezielten Untersuchung verschiedener Faktoren ist Ueli Bellwald zum Schluss gekommen, dass die antike Pflästerung im unteren Teil des Siq vollständig erhalten geblieben ist. Unter anderem gründet der Restaurator diese Hypothese auf den Verlauf des Wasserkanals, der sich auf der linken Seite der Schlucht auf einer Höhe von 1,20 bis 1,50 Metern entlangzieht.
Während dieser Kanal heute im oberen Teil des Siq bis zu einer Höhe von 2,90 Meter über dem heutigen Weg verläuft, verschwindet er unterhalb einer bestimmten Stelle im sandigen Geröll, das Regenfälle im Laufe der Zeit angeschwemmt haben. Deshalb liegt Bellwald zufolge die Pflästerung derzeit auf einer Länge von 530 Metern bis zu 2,90 Meter tief unter dem jetzigen Niveau.
Gefälle wiederherstellen
Zählt man noch die Wegfragmente dazu, die weiter oben liegen, so liessen sich 670 Meter antiker Strasse, gut die Hälfte der Länge des Siq, in den ursprünglichen Zustand zurückversetzen. Was im unteren Teil abgetragen würde, könnte im oberen Teil der Schlucht aufgeschüttet werden, um das ursprüngliche Gefälle wiederherzustellen.
Inzwischen hat Bellwald die Vorarbeiten zur Freilegung der antiken Pflästerung und zur Wiederherstellung des ursprünglichen Niveaus der Nabatäerstrasse abgeschlossen. Am 14. März weihten Vertreter des Swiss-Jordanian Bilateral Committee den ersten restaurierten Strassenabschnitt ein. Am 4. April stimmten die zuständigen Stellen in Amman mit Begeisterung dem endgültigen Projekt zu. Mitte Juni wird damit begonnen, Ende Jahr soll es fertig sein.
Auch die Finanzierung des Vorhabens ist gesichert: Die Restaurierung der Strasse durch den Siq sowie der Wasserbauten im Wadi Madrass bezahlt der Schweizerisch-Jordanische Gegenwertfonds. Für die Wiederherstellung weiterer Bauten des Wasserspeicherungssystems stellt die Weltbank Mittel aus ihrem Petra-Kredit zur Verfügung.
Dabei weiss Ueli Bellwald, dass die antike Strasse in Petra nicht am unteren Ende der Schlucht, vor dem imposanten Felsrelief des Schatzhauses Al-Khazneh, endet. Die Strasse führt weiter vom Schatzhaus über den Äusseren Siq und entlang dem Grossen Theater bis ins eigentliche Stadtgebiet hinein. Doch diese Strecke auszugraben, wäre ein anderes Projekt. „Abu Balata“ würde es reizen.
„Scheich Ibrahim“ aus Basel. Wie ein junger Schweizer im 19. Jahrhundert Petra wiederentdeckte
Schweizer und Petra – das hat Tradition. Als Johann Ludwig Burckhardt, Sohn eines reichen Basler Patriziers, 1812 von Damaskus nach Kairo reiste, wusste er aus alten Dokumenten, dass es im Süden Jordaniens einst eine blühende Handelsstadt gegeben hatte. Der junge Entdecker (1784–1817), der zuvor Arabisch gelernt hatte und zum Islam übergetreten war, entschloss sich, Petra zu finden. Zwar trauten die Beduinen, die ihn begleiteten, dem Unterfangen des bärtigen und orientalisch gewandeten Reisenden nicht ganz.
Unter dem Vorwand, an Aarons Grab ein Opfer bringen zu wollen, liess sich Burckhardt zu einem Berg in jener Gegend bringen, wo er die Stadt vermutete. Während des Aufstiegs gelang es ihm, ein paar Blicke auf die rosaroten Ruinen unten im Tal zu erhaschen. Am 22. August schliesslich notierte er vorsichtig in sein Tagebuch: „Es ist möglich, dass die Ruinen des Wadi Musa die des antiken Petra sind.“
„Scheich Ibrahim“, wie er sich nannte, hatte recht: Als erster Europäer seit 600 Jahren, seit den Tagen der Kreuzritter, sah Johann Ludwig Burckhardt jene Stadt wieder, in der vom 4. Jahrhundert v. Chr. bis zum 4. Jahrhundert n. Chr. die Nabatäer, gewiefte und mächtige Kaufleute, gelebt hatten. Lange konnte Burckhardt jedoch nicht in Petra bleiben, denn sonst hätte er sich als Spion verdächtig gemacht und womöglich den Tod riskiert.
Villa zum Vorschein gebracht
„Prächtig geschmückte Grabgewölbe, aus dem Felsen gehauen, die Überreste von Tempeln, Paläste, ein Amphitheater, ein Aquädukt sowie andere Sehenswürdigkeiten machen diese Ruinen zu einem der interessantesten Orte, die ich je gesehen habe“, hielt er in seinen Aufzeichnungen fest, die später, auf Englisch, auch in Buchform erschienen.
Inzwischen fanden Forschende aus Ost und West über 800 Denkmäler in und um die Stadt. Unter diesen Wissenschaftern befinden sich auch Archäologen der Universität Basel.
Derzeit konzentrieren sich diese Ausgrabungen unter der Leitung von Bernhard Kolb auf ein Villenareal im Bereich des Wohnquartiers von Petra, dessen Existenz die Forschung lange Zeit verneint hat. Die Nabatäer, so hiess es, hätten nicht in Häusern, sondern in Zelten gelebt. Die Funde der Basler Archäologen aber strafen auch diesen Schluss Lügen. In der Villa, die eingezäunt auf einem Hügel liegt, sind unter anderem prächtige Wandmalereien zum Vorschein gekommen.
In Petra wohnen die Forschenden im „Johann Ludwig Burckhardt Archeological Center“, einem einfachen Steinbau, der zu Beginn der fünfziger Jahre errichtet worden ist. Unter dem Namen „Nazal Camp“ war das Haus einst Petras erstes Hotel und beherbergte als solches eine illustere Gästeschar. Heute dient das Camp als Forschungszentrum und Unterkunft für die Archäologen aus aller Welt. Die Restauration und den Umbau des „Nazal“ hat die Eidgenossenschaft finanziert. Der Einweihung im Januar 1996 wohnten auch Nachfahren Burckhardts aus Basel bei.
In die Tradition der Schweizer Entdecker, Forscher und Förderer reiht sich Ueli Bellwald – Historiker, Architekt und Archäologe – würdig ein. Denn auch er ist, wie er sagt „Petra verfallen“. Und der Siq, diese einzigartige Felsschlucht, ist für ihn der Schlüssel zu dieser antiken Stadt: nicht nur ein Zubringer, sondern auch die Lebensader eines hochentwickelten Organismus.