The International Ez Zantur Project

Umschuldungsabkommen kreativ umsetzen

Von Erich Gysling. Neue Zürcher Zeitung, Nummer 042, 20. Februar 1999, Seite 15

Schweizer Hilfe und Know-how für die Nabatäer-Stadt Petra

Die Nabatäer-Stadt Petra im heutigen Jordanien wurde 1812 durch den Schweizer Forscher Johann Ludwig Burckhardt neu entdeckt. Jetzt ist die Schweiz wiederum aktiv in Petra: die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) finanziert die Freilegung der historischen Zugangsschlucht, des sogenannten Siq, nach Petra und die Rekonstruktion der antiken Staudämme. Für die Durchführung der Projekte verantwortlich ist der Archäologe, Architekt und Restaurator Ulrich Bellwald.

„Wenn ich gut gelaunt bin, nennen mich die jordanischen Arbeiter Abu balata, Vater der Steinfliesen – aber wenn wir miteinander Probleme haben, heisse ich Abu faas, Vater der Streitaxt.“ Der 50jährige Schweizer Archäologe, Architekt und Restaurator Ulrich Bellwald erzählt das mit breitem Lachen. Dann wendet er sich wieder seiner Arbeit zu – er kniet tief in einer mit Staub und Schutt gefüllten Rinne, die sich der Felswand in der Schlucht von Petra entlangzieht. Mit einer kleinen Schaufel schabt er kraftvoll einer jetzt schon halbwegs hervortretenden Röhre, der ehemaligen Trinkwasserleitung, entlang und legt sie Zentimeter um Zentimeter frei.

Wenn man Ulrich Bellwald so schuften sieht, kann man sich kaum vorstellen, dass er der Chef von etwa hundert jordanischen Arbeitern ist. Aber er hat die Erfahrung gemacht, dass die Effizienz der Mitarbeiter in dem Masse ansteigt, als sie den Chef selbst in vollem Einsatz miterleben können. „Und ausserdem“, meint er, „müssen sich einige nun auf die Nachtschicht vorbereiten. Wir arbeiten ja meistens bis gegen zwei Uhr. Und frühmorgens geht’s dann wieder von neuem los.“

2000 Jahre zurück

Ulrich Bellwald legt mit seinem Team den ursprünglichen Zugangsweg zur Nabatäerstadt Petra, einer der grossartigsten Stätten der antiken Welt, frei und restauriert das System von kleinen Staudämmen in dieser etwa eineinhalb Kilometer langen Schlucht so, wie es vor rund 2000 Jahren bestand. Die Dämme hielten jahrhundertelang die Sturzfluten während der kurzen Regenperioden zurück. Solange das System intakt war, konnte Petra mit Wasser versorgt werden. Als die Dämme zerbröckelt waren, stürzte das Wasser nach heftigen Regengüssen zerstörerisch in die Schlucht, verwüstete die antiken Wasserrinnen und die bis zu einer Tonne schweren Steinplatten des Wegs – und brachte bis in die sechziger Jahre dieses Jahrhunderts Reisenden in Petra den Tod. 1963 starben mehr als zwanzig Menschen in den plötzlich durch den Siq heranrasenden Wasserfluten. Der alte Weg durch die eineinhalb Kilometer lange Schlucht zur ehemaligen Stadt Petra wurde durch die Fluten und die Geröllmassen teils verschüttet, teils weggerissen. Wer etwa um 1990 nach Petra hineinwanderte, beging den Weg durch die Schlucht stellenweise mehrere Meter über dem historischen Pfad, dann wieder auf Geröllhalden unterhalb des alten Niveaus. Von den antiken Wasserleitungen entlang des Pfads war fast nichts mehr zu sehen.

Die jordanische Regierung und ausländische Fachleute waren sich einig: Die Wiederherstellung der ehemaligen Bautechnologie im Siq, dem „Königsweg“ hinein nach Petra, war, neben den Restaurierungsarbeiten an den Bauwerken in der alten Stadt selbst, eine der Voraussetzungen für die Rettung Petras insgesamt. – Die Arbeiten im Siq werden weitgehend durch die Schweiz mit Geldern finanziert, die im Rahmen eines schweizerisch-jordanischen Umschuldungsabkommens für die Restaurierung von Petra freigemacht wurden. Etwas mehr als 1,4 Millionen Franken stehen dafür zur Verfügung. Das Umschuldungsabkommen von 1993 betraf gesamthaft jedoch eine viel grössere Summe, nämlich etwa 35 Millionen Franken. Es handelte sich um kommerzielle Schulden.

„Königsweg“ nach Petra

Die Aussicht, dass diese Gelder je zurückbezahlt würden, war nach Auffassung des BAWI gering, daher suchte man eine Lösung und fand sie auf durchaus kreative Weise. Bern zeigte sich bereit, Jordanien die Schulden teilweise zu erlassen, schlug aber anderseits vor, 27 Prozent der Schuldensumme in einem Gegenwertfonds zu erfassen. Somit blieben, theoretisch, etwa 9,5 Millionen Franken erhalten – und davon, so einigte sich die Schweiz damals mit Jordanien, sollten 15 Prozent in die Tourismusförderung in Petra investiert werden. Daraus ergaben sich die rund 1,4 Millionen Franken, über die der Architekt und Archäologe Ulrich Bellwald nun für seine Arbeiten, unter der Aufsicht des Petra National Trust, etappenweise verfügen kann. Jordanien zahlt den grösseren Teil der Arbeiterlöhne.

Dass die Schweiz sich an einigen der wesentlichsten Arbeiten zur Erhaltung und Restaurierung von Petra beteiligt, fügt sich in eine schöne Tradition ein: Petra wurde 1812 vom schweizerischen Forscher Johann Ludwig Burckhardt wiederentdeckt. Er befand sich damals auf der Reise von Damaskus nach Kairo und konnte Beduinen im Süden des jetzigen Jordanien davon überzeugen, ihn nach Wadi Mussa (dieser jetzt so hässlichen, touristisch überentwickelten Ortschaft am Eingang zu Petra) zu bringen – und schliesslich konnte er einen Teil des damals von Schutt schwer verschütteten Petra sehen. Er vermerkte: „Wahrscheinlich sind die Ruinen bei Wadi Mussa identisch mit dem antiken Petra.“ Genauere Untersuchungen konnte er nicht vornehmen – die Beduinen wollten keinem Fremden die Stätte zugänglich machen.

Doppelter Schweizer Einsatz

Jetzt ist die Schweiz in zwei Bereichen in Petra tätig: die Universität Basel seit 1988 innerhalb der Projekte der schweizerisch-liechtensteinischen Stiftung für archäologische Forschung im Ausland – und das Deza, quasi als Erbe des vom Bawi vereinbarten Umschuldungsabkommens, im Rahmen des an Ulrich Bellwald übertragenen Auftrags für die Freilegung und die Erhaltung des Siq, der Zugangsschlucht zur eigentlichen Stadt Petra, in der auf dem Höhepunkt der antiken Kultur wohl etwa 40 000 Menschen lebten und die gleichzeitig eine riesige Nekropole mit Felsengräbern war.

Ulrich Bellwald kam, wie er selbst sagt, zum Auftrag in Petra „wie die Jungfrau zum Kind“. Er war, mit seinem Unternehmen „restauro Bellwald“, Ende der achtziger / Anfang der neunziger Jahre vorwiegend im sizilianischen Selinunt tätig. Die dortigen Tempel und besonders deren Nordbefestigung will oder soll er auch in den folgenden Jahren restaurieren. Dann fragte ihn ein im Nahen Osten tätiger Berufskollege, ob er ihm nicht bei einigen Projekten in Syrien oder Jordanien helfen könne – und weil in Italien die Weiterfinanzierung gerade in einem Engpass steckte, sagte er provisorisch zu. Also reiste er nach Jordanien.

Aus dem Provisorium wurde eine Langzeitaufgabe. Ulrich Bellwald nahm Wohnsitz in Jordanien. Er vertiefte sich in Lehrbücher für die arabische Sprache. Jeweils einen Monat, so plante er, wollte er in Jordanien verbringen, dann jeweils zwei Wochen in seinem wunderschönen Wohnsitz in einer renovierten Mühle im Raum Köniz bei Bern. Doch das erwies sich als Theorie: Ulrich Bellwald ist immer dann in Petra, wenn es notwendig ist. Und reist für ein paar Wochen in die Schweiz, wenn es möglich ist. Zum Beispiel während des muslimischen Ramadan. Im Fastenmonat Ramadan sackt die Arbeitseffizienz jeweils rapide ab. Letztes Jahr fiel sein Baggerführer aus, weil er im Ramadan rauchend entdeckt und daraufhin ins Gefängnis übergeführt wurde.

Risikoreiches Unternehmen

Das kostete Ulrich Bellwald eine Menge Energie und Geld – denn er zahlt, durch sein dem Deza verpflichtetes Unternehmen, ja die Überstunden seiner fast hundert Mitarbeiter. Muss Nachtarbeit geleistet werden, geht das auf sein Konto. Übrigens auch für ihn: dann gibt’s bestenfalls drei Stunden Schlaf, denn frühmorgens geht die Arbeit wieder weiter. Die Finanzierung durch das Deza ist bis gegen Ende 1999 gesichert. Bis dann sollte Ulrich Bellwald mit seinen rund hundert jordanischen Mitarbeitern die Ausgrabung der in den Siq mündenden Seitentäler und die Restaurierung der Staudämme in diesen „Wadis“ vollendet haben.

Um die Arbeiten in der Zugangsschlucht nach Petra abzuschliessen, wären nach Auffassung von Ulrich Bellwald zwei weitere Phasen notwendig, nämlich die Restaurierung von grossen Staudämmen auf den Hügelplateaus über Petra und die Freilegung der dahinter liegenden Staubecken. Dafür benötigte man nochmals etwa vier Millionen Franken und rund zweieinhalb Jahre Zeit.

Ein Mann im Dienste der Archäologie

Ulrich Bellwald, geb. 1948, studierte in Bern, Florenz und Rom Kunst- und Architekturgeschichte und Archäologie, war mehrere Jahre Assistent an der Architekturabteilung der ETH Zürich und erlernte das Restauratorenhandwerk mit dem Spezialgebiet der Steinkonservierung und Restaurierung. Er war leitender Archäologe bei den Ausgrabungen während des Neubaus des Berner Bahnhofs und im Erlacherhof in Bern. Restaurierungen in der Domus Tiberiana auf dem Palatin in Rom, des griechischen Theaters und verschiedener Tempel in Metaponto (Basilicata), der Nordbefestigung und verschiedener Tempel auf der Akropolis von Selinunte und des Tempels von Segesta (beide auf Sizilien). Seit 1991 ist Bellwald Restaurator für die unter der Ägide der Schweizerisch-Liechtensteinischen Stiftung für Archäologie im Ausland vom Archäologischen Institut der Universität Basel durchgeführten Ausgrabungen auf Ez Zantur in Petra und seit 1996 Leiter der Ausgrabungen und Restaurierungen der Strasse durch den Siq ebenda.